Die Paradoxie des Glücks
Wer kennt es nicht? Das bezaubernde Weihnachtsmärchen ‚Drei Nüsse für Aschenbrödel‘? Obwohl schon zig Mal gesehen, begeistert der Film Jung und Alt. Und zwar alle Jahre wieder.
Ähnlich bekannt sind die heiter-tiefgründigen Heldentaten von Mullah Nasrudin, der Narr und Meister in sich vereint. Die Geschichte, die ich euch heute von ihm erzähle, handelt ebenfalls von Nüssen (zu vielen Nüssen) und ist mit Sicherheit vielen von euch bekannt.
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Der Mullah wollte für seine Frau Nüsse holen, denn sie hatte ihm versprochen, seine Lieblingsspeise zu zubereiten. Also steckte er seine Hand in den Nusskrug und griff sich so viele Nüsse, wie er nur konnte. Dann versuchte er, seine Hand wieder aus dem Krug zu ziehen. Aber das gelang nicht. Und obwohl er sich abmühte, zerrte und zog, der Krug gab seine Hand nicht frei. Mullah Nasrudin stöhnte. Er fluchte. Aber vergebens.
Da kam sein Nachbar vorbei, der die verzweifelten und vergeblichen Mühen von Mullah Nasrudin eine Weile beobachtete, und versprach ihm zu helfen. „Öffne deine Hand und lasse alle Nüsse fallen.“ Das missfiel dem Mullah sehr und nur mit größtem Widerwillen ließ er die Nüsse fallen. Der Nachbar fuhr fort: „Mache deine Hand jetzt ganz schmal und ziehe sie langsam und vorsichtig aus dem Krug.“
Und tatsächlich bekam Mullah Nasrudin seine Hand ohne Schwierigkeiten wieder frei. Aber er war nicht wirklich zufrieden. Und er sagte etwas unwirsch zu seinem Nachbarn: „Meine Hand ist jetzt frei, aber was ist mit meinen Nüssen?“ Also nahm der Mann den Krug, kippte ihn um und ließ so viele Nüsse herausrollen, wie der Mullah brauchte. Mit Erstaunen sah der Mullah zu und murmelte:
„Bist du ein Zauberer?“
In der psychotherapeutischen Praxis geht es ganz oft um nicht offene, sondern geballte Fäuste. Also um die uralte Paradoxie des Glücks. Je mehr man danach greift, umso mehr verflüchtigt es sich. Und jetzt die wesentliche Frage: Welche Nuss solltest du – vielleicht noch in dieser Weihnachtszeit – loslassen? Damit das Liebste sich dir schenken kann. Ohne dein Zutun, ganz von allein.